per Mail am 04.09.2007
Sehr geehrter Herr ...,
gerne beantworte ich Ihren Fragenkatalog:
1) Diese drei Prinzipien der Gerechtigkeit müssen Grundlage der Familienpolitik werden:
a) wirtschaftlich
gleich leistungsfähige Personen müssen gleich viel zur Finanzierung
staatlicher
Aufgaben beitragen (Leistungsfähigkeit).
b) Wer Leistung erbringt, hat Anspruch auf Gegenleistung
(Leistungsgerechtigkeit).
c) Die staatlichen und kommunalen Rahmenbedingungen müssen dem Einzelnen
eine möglichst freie Wahl
der Lebensform erlauben, d.h. keine Lebensform darf diskriminiert
werden (Wahlfreiheit).
Note: 2
Begründung: Mit u.a. der besseren Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung,
der Erhöhung des Kindergeldes unter Rot-Grün um insgesamt fast 40 Prozent sowie zuletzt in der Großen
Koalition mit der besseren Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und der Einführung des bereits im
SPD-Wahlmanifest versprochenen Elterngeldes hat die SPD seit 1998 neben der besseren Familieninfrastruktur
auch konsequent und erfolgreich für finanzielle Leistungsverbesserungen zugunsten von Familien gekämpft.
Die Wahlfreiheit von Familien hat die SPD, u.a. auch durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz für über
200.000 neue Krippenplätze in Deutschland - das wir gegen den Widerstand von CDU und CSU durchgesetzt
haben - ebenso mit dem 4 Mrd. Euro schweren Ganztagsschulprogramm, seit 1998 beständig gefördert. Wir
wollen, dass Familien frei entscheiden können, ob die Kinder vollständig zuhause oder teilweise in einer
Betreuungseinrichtung betreut werden. Dies ist derzeit oft noch nicht der Fall, weil es weiterhin -
leider speziell bei uns in Bayern - an entsprechenden Betreuungsangeboten fehlt. Solange es aber kein
ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt, kann es auch keine Wahlfreiheit geben.
Die SPD hat daher in der Großen Koalition erfolgreich darauf gedrängt, das Angebot an Krippenplätzen
weiter massiv auszubauen. Wir werden zudem für alle Eltern einen Rechtsanspruch auf Kleinkinderbetreuung
ab dem Kindergartenjahr 2013/2014 einführen und setzen uns langfristig für gebührenfreie Kinderbetreuung
ein. So hat der SPD-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck in Rheinland- Pfalz
bereits das gebührenfreie letzte Kindergartenjahr eingeführt und schrittweise eine komplette Gebührenbefreiung
für Kindergartenplätze beschlossen. Die gleiche Forderung vertritt die BayernSPD, was allerdings von
der Staatsregierung - zu Lasten der bayerischen Familien - bisher leider kategorisch abgelehnt wird.
2) Alle drei Prinzipien sind heute in der Familienpolitik massiv verletzt.
Note: 4
Begründung: Grundsätzlich werden die von Ihnen genannten Prinzipien bereits in der Familienpolitik
berücksichtigt. So müssen Familien beispielsweise durch Freibeträge weniger Steuern zahlen als Ledige.
Ledige oder Kinderlose finanzieren wiederum mit ihren Steuern und Sozialabgaben (z.B. über die beitragsfreie
Mitversicherung von Kindern in der gesetzlichen Krankenversicherung) auch die Leistungen für die Familien
mit. Es gibt zwar Verletzungen, diese sind aber nicht grundsätzlicher Natur. Nehmen Sie beispielsweise
die Anerkennung der Erziehungsleistung in der Rentenversicherung, die zuletzt von der rot-grünen Bundesregierung
verbessert wurde. Hier gibt es eine konkrete Gegenleistung für die wichtige Erziehungsarbeit. Man kann
aber darüber streiten, ob diese höher sein müsste als bisher. Bei solchen Fragen muss aber immer auch
berücksichtigt werden, ob der Staat - also die Gesellschaft inklusive der Familien - sich das leisten
kann. Grundsätzlich leistet der Staat für die Familien zahlreiche finanzielle Unterstützungsmaßnahmen
- im internationalen Vergleich ist es sogar so, dass wir in Deutschland traditionell Familien besonders
stark mit finanziellen Transfers unterstützen (Kindergeld, Freibeträge usw.) aber deutlich weniger mit
familienfreundlicher Infrastruktur (z.B. Krippenplätze). Lediglich die Wahlfreiheit ist meiner Meinung
nach bisher relativ stark verletzt, da CDU und CSU aus ideologischen Gründen lange Zeit verhindern wollten,
dass Eltern die Möglichkeit zur Kleinkinderbetreuung und Ganztagskinderbetreuung in Betreuungseinrichtungen
erhalten. Die SPD arbeitet aber bereits seit einiger Zeit daran (siehe Antwort 1), diese staatliche
Entmündigung der Eltern zu beenden.
3) Kinderlosigkeit wird derzeit staatlich prämiert.
Note: 6
Begründung: Eine Prämierung von Kinderlosigkeit findet nicht statt.
4) Ein Ausgleich der finanziellen kindbedingten Lasten ist zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit und
zur langfristigen Sicherung der Wohlfahrt aller notwendig.
Note: 2
Begründung: Der Staat versucht permanent, bessere Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen,
um jungen Menschen die Entscheidung für Kinder zu erleichtern. Grundsätzlich kosten Kinder die Eltern
natürlich Geld - und das sind Kosten, die Kinderlosen nicht entstehen. Viele dieser Kosten gleicht der
Staat aus. Alle Kosten kann der Staat aber nicht ausgleichen, denn die Kosten durch ein Kind sind in
jeder Familie individuell und hängen auch jeweils von den persönlichen Ansprüchen und dem Lebensstandard
der Eltern ab. Der Staat kann daher grundsätzlich nur eine gewisse Unterstützung leisten. Ich halte
es für problematisch, Kinder vor allem als Kostenfaktor zu betrachten, denn Kinder sind für die Eltern
sehr viel mehr und vor allem eine Bereicherung, die man gar nicht in Geld aufwiegen kann. Dennoch setzt
sich die SPD dafür ein, speziell die kindbedingten Kosten und Gebühren zu reduzieren bzw. zu beseitigen.
Unser Ziel ist langfristig die kostenlose Kinderkrippe, kurz- und mittelfristig der kostenlose Kindergarten,
Abschaffung des von der CSU in Bayern eingeführten, familienfeindlichen Büchergeldes sowie die Rücknahme
der ebenfalls von der CSU in Bayern eingeführten Studiengebühren zugunsten eines gebührenfreien Erststudiums.
5) Der Familienlastenausgleich ist erst dann erreicht, wenn bei gleichem Bruttoverdienst das frei verfügbare
Pro-Kopf-Einkommen von Kinderlosen und Familien mit unterschiedlich vielen Kindern gleich ist.
Note: 3
Begründung: Grundsätzlich ist es richtig, dass wie in der gängigen Praxis z.B. im Steuerbereich
berücksichtigt wird, wie viele Kinder in der Familie leben. Ein vollständiger Ausgleich ist aber nicht
möglich (siehe auch Antwort 4 und 6).
6) Da es sich um eine Umverteilung handelt, darf der Zustand der öffentlichen Haushalte keine Rolle
spielen.
Note: 6
Begründung: Der Zustand der öffentlichen Haushalte muss bei jeder politischen Entscheidung
eine Rolle spielen. Es wäre eine verheerende Familienpolitik, wenn wir neue Schulden aufnehmen, um damit
Wohltaten im Hier und Jetzt für Familien zu finanzieren, die wir uns gar nicht leisten können. Es wären
dann nämlich unsere Kinder und Kindeskinder, die später unsere Schulden abbezahlen müssten und das wäre
verantwortungslos. Wenn mit der Frage gemeint ist, dass zusätzliche Mittel durch Umverteilung von Kinderlosen
zu Familien gewonnen werden sollten, muss ich das ebenfalls ablehnen, da ich grundsätzlich ein Ausspielen
von (teilweise ja auch ungewollt) Kinderlosen gegenüber Familien ablehne. Eine Solidarität der Kinderlosen
mit den Familien gibt es zudem bereits, da schließlich auch die Kinderlosen mit ihren Steuerzahlungen
und Abgaben die Familienleistungen mitfinanzieren. Familienleistungen müssen meiner Meinung nach weiter
grundsätzlich von der gesamten Gesellschaft finanziert werden.
7) Die Politik muss unmissverständlich zwischen (Steuer-)Gerechtigkeit und Familienförderung unterscheiden.
Note: 2
Begründung: Das machen wir meiner Meinung nach bereits, wobei die Steuergerechtigkeit zwar
eigenständig aber eben auch ein Teil der Familienförderung ist. Steuergerechtigkeit kann eine eigenständige
Familienförderung wiederum nicht ersetzen.
8) Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet einerseits erwerbstätig sein zu können, wenn man
kleine Kinder hat. Es bedeutet aber andererseits auch, nach mehreren Jahren Familienarbeit der persönlichen
Qualifikation entsprechende Teilzeit- und Vollzeitarbeitsplätze zu finden.
Note: 2
Begründung: Grundsätzlich stimme ich dem zu. Die SPD steht ganz klar für eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und hat z.B. auch den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit durchgesetzt und in der
Großen Koalition gegen die Begehrlichkeiten von CDU und CSU erfolgreich verteidigt. Problematisch ist
nur, dass der Staat den Eltern nunmal keine Arbeitsplätze nach einer Erziehungszeit, die länger als
drei Jahre pro Kind andauert, garantieren kann. Wir können nur daran arbeiten, dass die Arbeitgeber
die als "Familienmanager" erworbenen Qualifikationen stärker wahrnehmen. Dazu wurde unter Rot-Grün bereits
eine "Allianz für Familie" ins Leben gerufen, die in der Großen Koalition fortgesetzt wird und den Unternehmen
aufzeigt, wie diese von Familienfreundlichkeit profitieren, z.B. im Sinne einer höheren Mitarbeitermotivation
und engeren Bindung zum Unternehmen.
9) Wir haben in unserer Gesellschaft ein demographisches Problem und es wird in den nächsten Jahrzehnten
dramatisch zunehmen.
Note: 4
Begründung: Ich würde nicht vom "demografischen Problem" sondern von der demografischen Entwicklung
sprechen, die uns zwar einige Probleme bereitet aber eben auch Chancen bietet. Das eigentliche Problem
ist, dass vor allem unsere sozialen Sicherungssysteme nicht rechtzeitig - in der Ära Kohl - auf die
seit Jahrzehnten feststehende demografische Entwicklung eingestellt wurden. Ernsthafte - und auch teilweise
sehr schmerzhafte - Strukturreformen im sozialen Sicherungssystem wurden erst von der rot-grünen Bundesregierung
mit der Agenda 2010 eingeleitet und werden nun von der SPD in der Großen Koalition fortgeführt, zuletzt
mit der "Rente mit 67". Es gilt also in diesem Bereich, weiter mutig voranzugehen und zusätzlich die
Chancen der demografischen Entwicklung zu nutzen. So müssen wir beispielsweise den Markt für seniorengerechte,
innovative Produkte und Dienstleistungen noch besser erschließen bzw. fördern (was auch wiederum Exportchancen
bietet, denn Deutschland ist nicht die einzige alternde Gesellschaft in der Welt) und können niedrige
Kinderzahlen z.B. auch dafür nutzen, Klassenstärken zu reduzieren und die Bildungsqualität zu verbessern.
Es liegt an uns, ob die demografische Entwicklung zu einem ernsthaften Problem wird oder nicht.
10) Die einzige Möglichkeit für unsere Gesellschaft, das demographische Problem wenn schon nicht zu
lösen so doch wenigstens abzumildern ist eine ausreichende Anzahl eigener Kinder. Eigene Kinder sind
für unsere Gesellschaft unverzichtbar.
Note: 4
Begründung: Grundsätzlich haben wir in Deutschland eine zu niedrige Geburtenrate und müssen
daher versuchen, die Entscheidung für Kinder wieder zu erleichtern. Allerdings kann es meiner Meinung
nach nur darum gehen, dass wir es erleichtern, vorhandene Kinderwünsche zu erfüllen. Es kann nicht darum
gehen, Druck auszuüben, um mehr Kinder zu erzwingen - letzteres würden dann auch die nicht wirklich
gewollten Kinder ausbaden müssen. Zur erfolgreichen Bewältigung des demografischen Wandels müssen wir
aber mehr machen, als nur die Geburtenrate zu verbessern (siehe Antwort 9). Ich gehe davon aus, dass
Sie mit der Frage unter dem Begriff "eigene Kinder" auch z.B. adoptierte Kinder und Kinder von Migrantinnen
und Migranten meinen. Beide Gruppen sind nicht aus der Gesellschaft oder der Familienpolitik auszuschließen.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf